Vögel füttern, das ganze Jahr über!

Unsere gefiederten Freunde benötigen gerade auch im Frühling und im Sommer Unterstützung. Mit Meisenknödeln verbinden viele von uns die Herbst- und Winterzeit, wenn Wildvögel einsam und aufgeplustert auf kahlen Ästen sitzen und natürliches Futter wie Sämereien und Insekten unter einer dicken Schneedecke versteckt liegen. Ganz selbstverständlich unterstützen wir dann Amseln, Rotkehlchen und viele kleine Pieper mehr mit regelmäßigen Futtergaben. Viel wichtiger aber wäre es, auch und gerade im Frühjahr und im Sommer zu füttern, denn dann ist der Energiebedarf der Vögel besonders hoch und das Futterangebot dennoch gering, sagt der Ornithologe und Verhaltensforscher Professor Peter Berthold.

Deutschland vor 100 Jahren: Feldfluren voller Wildblumen, Heimat für unzählige Insekten und damit ein reiches Menü für die Vogelwelt. Deutschland heute: eine ausgeräumte Kulturlandschaft voller Autobahnen, Flughäfen und Siedlungen, mit Weizenfeldern und Kartoffelackern, auf denen keine Kornblume, kein Stiefmütterchen mehr zu finden ist. „Mehr als 200 Wildpflanzenarten sind im vergangenen Jahrhundert vollständig verschwunden“, sagt Professor Berthold, „und damit auch die Insektenbegleitfauna wie Käfer, Raupen und Falter.“ Der Fachmann macht eine simple Rechnung auf: 1950 enthielten die Felder rund 5 Prozent Wildkräuter, allein die Weizenfelder Deutschlands produzierten damals auf diese Weise mehr als eine Million Tonnen Sämereien pro Jahr. Doch schon längst wurde diesen Wildkräutern – dem „Unkraut“ – der Garaus gemacht. „Für die Vögel ist nichts zu fressen übrig geblieben“, sagt der Ornithologe. „Entsprechend ist die Zahl von Vögeln wie dem Feld- und Haussperling oder auch dem Star um 50 bis 70 Prozent zurückgegangen.“

Was uns auf den ersten Blick merkwürdig scheint, wird somit logisch: Die übrig gebliebenen Vögel konzentrieren sich schon längst auf die Städte. „Der grüne Gürtel von Berlin beheimatet heute mehr Vögel als die offene Landschaft von Brandenburg!“, sagt Professor Berthold. Allerdings tun sich die Vögel auch in Menschennähe schwer mit der Futtersuche, denn Gärten, Parks und Friedhöfe werden von uns oft penibel sauber gehalten. Und genau deshalb soll und muss man zufüttern.

Also nicht nur im Winter, wenn es kalt und unwirtlich ist? „Natürlich füttert man auch im Herbst und im Winter; allerdings ist der Futterbedarf der Vögel beispielsweise im Herbst nicht so hoch, wie man meinen könnte. Es wird früh dunkel und spät hell, die aktive Zeit der Vögel reduziert sich also. Nachts fahren die Tiere den Stoffwechsel herunter und verbrauchen weniger Energie.“ Vor allem aber müssen sie nur sich selbst versorgen – und das ist der zentrale Punkt, wenn es darum geht, Vögel zusätzlich im Frühjahr und Sommer zu füttern. „Man stelle sich Vögel in diesen Jahreszeiten vor“, sagt Professor Berthold, „die Tage werden länger, das Revier muss verteidigt, ein Partner gefunden und ein Nest gebaut werden. Und dann werden die Jungen gefüttert – das bedeutet fliegen, fliegen, fliegen. Dabei verbrauchen die Vogeleltern locker 25-mal so viel Energie, als wenn sie ein bisschen im Gebüsch umherhüpfen.“

Das Futter ist dabei bisweilen so knapp, dass die Jungen im Nest verhungern, weil die Eltern zunächst ihren eigenen Energiebedarf decken müssen und sich schwertun, noch mehr Nahrung zu finden. „Ein Meisenknödel kann da schon Wunder wirken“, beschreibt der Fachmann die Situation: „Wenn man beispielsweise Stare im Nistkasten beobachtet, dann sieht man, dass sie nach der Fütterung der Jungen erst zum Meisenknödel fliegen und dort das Fett picken, bevor sie sich erneut auf Futtersuche für den Nachwuchs machen. Das Fett ist quasi der Treibstoff für den nächsten Flug – es wird direkt in Energie umgewandelt.“

Diese und viele andere geballte Erfahrungen und Erkenntnisse, die der ehemalige Leiter der Vogelwarte Radolfzell in einem ganzen Leben als Vogelfreund und -experte gesammelt hat, sind in seinem Buch „Vögel füttern, aber richtig“ zusammengefasst. Es liegt mittlerweile bereits in der dritten Auflage vor, weil der Autor so viel Rückmeldung und Fragen von Vogelfreunden erhielt, dass er das Buch mehrfach ausbaute und überarbeitete. Die Essenz aber bleibt dieselbe: Vögel füttern – nicht nur in der kalten Jahreszeit, sondern auch und gerade im Frühling und im Sommer.

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